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Grußworte und Vorträge

Grußwort des Rektors vom Zentrum für Umwelt und Kultur Pater Karl Geißinger

Als Hausherr begrüßte zunächst Pater Karl Geißinger, Rektor des Zentrums für Umwelt und Kultur (ZUK), die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des dritten Dialogforums und freute sich über die Vielfalt der beteiligten Institutionen: Behörden und Politiker sowie verschiedene Interessensverbände, Vereine und Einzelpersonen. Weiterhin hob er die Faszination hervor, die Flüsse auf die Menschen ausübten: „Sie sind ein tragendes Element unserer Heimat, sie sind Lebensspender und verfügen gleichzeitig über einen zerstörerischen Charakter“, sagte Pater Geißinger und fügte hinzu „Die Menschen hungern nach der intakten Natur und dem überschäumenden Leben am Fluss.“ Daher müsse es das Ziel sein, diese wertvollen Flusslandschaften zu erhalten, so lautete sein abschließender Appell und wünschte dem Auditorium in diesem Sinne „eine spannende Tagung und einen echten Dialog.“

Grußwort des stellvertretenden Bezirkstagspräsidenten Michael Asam

Anschließend richtete der stellvertretende Bezirkstagspräsident Michael Asam das Wort an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der dritten Veranstaltung und freute sich über das zahlreiche Erscheinen. „Durch Ihre Begleitung der Dialogreihe geben Sie dem Thema recht“, sagte er und bedankte sich ausdrücklich bei den Mitarbeiterinnen des Fachbereichs Umwelt vom Bezirk Oberbayern, die federführend für die Organisation der Dialogreihe verantwortlich sind. Als Bürgermeister der Gemeinde Peiting habe er, so berichtete Asam, kürzlich bei einer Begehung an Lech und Ammer teilgenommen. Dabei sei ihm klar geworden, wie wichtig es sei, dass alle Beteiligten von Anfang an eingebunden werden und miteinander ins Gespräch kommen. Mit dem Ziel die Alpenflüsse als Lebensraum für Pflanzen und Tiere sowie als Erholungsraum für Menschen zu erhalten, wünschte er allen Dialogbeteiligten viel Kraft, „damit wir gut vorankommen“.


Einführung von Moderator Wolfgang Suske und Dr. Wolfgang Hug (WWF)

Nach den Grußworten stellte Wolfgang Suske vom Planungsbüro „suske consulting“ aus Wien, der nicht nur für die Moderation der Dialogreihe, sondern auch für deren Konzeption verantwortlich zeichnet, die Themen und die Herangehensweise kurz vor. Dann übergab er das Wort an Dr. Wolfgang Hug vom WWF, den koordinierenden Projektleiter des Hotspot-Projekts „Alpenflusslandschaften – Vielfalt leben von Ammersee bis Zugspitze“. Dieser war von 2000 bis 2016 Direktor der Abteilung für Paläontologie im Amt für Kultur des Schweizer Kantons Jura. Seit 1. Januar 2017 leitet er das WWF-Büro Wildflüsse und Alpen in Weilheim / Oberbayern und befasst sich mit strategischen Themen des Naturschutzes in Bayern.

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„Es tut sich was“

In seiner Einführung betonte Dr. Hug, dass es sich zur Projekt-Halbzeit einerseits anböte Bilanz zu ziehen, es andererseits aber nun auch an der Zeit sei, noch ausstehende Maßnahmen Realität werden zu lassen. Ziel aller Ideen und Maßnahmen sei es, die Perspektive für die Alpenflüsse und ihre Tier- und Pflanzenwelt dauerhaft zu verbessern. In diesem Zusammenhang stellte er die Broschüre „Es tut sich was“ als bisheriges Zwischenergebnis des Hotspot-Projekts vor, in der bis zu fünf zuvor erarbeitete Projektideen für die Flüsse Lech, Ammer, Isar und Loisach skizziert werden. Ebenso wies er auch auf die Langversion der Broschüre mit dem Titel „Alles im Fluss“ hin, die jedoch zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch nicht in gedruckter Version vorlag. Mittlerweile können beide Dokumente auf der Seite www.alpenflusslandschaften.de heruntergeladen werden. „Diese nächsten Schritte müssen wir gemeinsam entwickeln“, erklärte Dr. Hug und kündigte erste Gespräche zur Bildung flussspezifischer Arbeitsgruppen an.

Prozessschutz versus Pflegenaturschutz


Anschließend erläuterte er mit Hilfe verschiedener Grafiken zwei unterschiedliche Herangehensweisen des Naturschutzes und die damit verbundenen Spannungsfelder: zum einen den Prozessschutz und damit das Nichteingreifen in die natürlichen Prozesse von Ökosystemen sowie den Pflegenaturschutz, welcher der Erhaltung unveränderlicher Soll-Zustände und damit einer definierten und angestrebten Biodiversität dient. In beiden Fällen ist das Ziel, Positives zum Artenschutz und zum Erhalt der biologischen Vielfalt beizutragen. Den beiden Spannungsfeldern widmeten sich die anschließenden Fachvorträge von Dr. Christine Margraf und Dr. Luise Schratt-Ehrendorfer.

Vortrag in Auszügen (PDF, 2,5 MB)

Vorträge

Dr. Christine Margraf: „Warum brauchen wir die Wildheit der Flüsse?“
 

Der Fokus des Vortrags von Dr. Christine Margraf lag auf Prozessschutz, Dynamik und Natürlichkeit. Die Biologin erklärte, dass Flüsse und Auen dann besonders artenreich seien, wenn sie in regelmäßigen Abständen verschiedenartige ökosystemtypische Veränderungen – etwa durch Hochwassereinflüsse – erfahren. Wildnis, die aus Sicht des Artenschutzes dringend benötigt werde, könne jedoch nur dann entstehen, wenn man den Flüssen als „Hilfe zur Selbsthilfe“ die Fesseln nehme, einschränkende Rahmenbedingungen ändere und ihnen Flächen zurückgebe. „Das flusstypische, kleinräumige und zeitlich-räumlich wechselnde Mosaik an Standorten mit hoher Artenvielfalt schafft am besten der Fluss selbst“, sagte Dr. Margraf und appellierte für mehr Mut, ihm dabei zuzuschauen.


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Dr. Christine Margraf, Jahrgang 1968, studierte Biologie und promovierte über die Vegetation der Donauauen bei Ingolstadt. Seit 1994 ist sie beim Landesverband des BUND Naturschutz in Bayern e. V. tätig – zunächst als Regionalreferentin, später auch als Artenschutzreferentin Südbayern und Leiterin der Fachabteilung Südbayern – und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Flüssen und Auen sowie dem Schutzgebietsnetz Natura 2000. Daneben hat sie auch einen Lehrauftrag zu "Wirtschaften mit der Natur" an der Hochschule München inne.

Auch lenkende Steuerungen sind ein Eingriff


Im Rahmen ihres Fachvortrags widmete sie sich der Wildheit der Flüsse und damit einem ihrer – wie sie sagte – „Herzensanliegen“. Sie berichtete, dass man in Deutschland nur noch weniger als ein Prozent der Landschaft als Wildnis bezeichnen könne – und das, obwohl sich laut einer Umfrage 42 Prozent der Menschen mehr Wildnis in der Natur wünschten. Ebenfalls weniger als ein Prozent der rezenten Auen in Deutschland sind nur „sehr gering verändert“. Mit aussagekräftigen Bildern zeigte sie flusstypische dynamische Prozesse, beispielsweise von Hochwasser überflutete Auen und die Umlagerung von Sedimenten als Beispiele einer intakten Hydro- und Morpho-Dynamik. Diese Dynamik ist die Voraussetzung für die hohe, sehr kleinräumige zeitlich-räumlich heterogene Strukturvielfalt in wilden Flüssen und Auen, welche wiederum Voraussetzung für eine hohe Biodiversität ist. Sie referierte, dass die komplexen Lebensräume an Flüssen und Auen mit Längs-, Quer- und Tiefenvernetzung über drei Dimensionen verfügen, die sich gegenseitig beeinflussen. Verbauungen und Veränderungen des Wasser- und Geschiebehaushalts störten dieses komplexe System. „Aber auch Prozesse lenkende Steuerungen sind eine Art Eingriff“, betonte sie und gab zu bedenken: „Wer entscheidet, wann, wie und zu wessen Gunsten gesteuert werden soll?“

Flüsse selbst arbeiten lassen


Daher plädierte Dr. Margraf dafür, den Flüssen die Fesseln (v.a. Uferverbauungen, Querverbauungen) zu nehmen und ihnen viel Fläche zur Verfügung zu stellen, „damit sie selbst arbeiten können“. In diesem Zusammenhang schlug sie vor, Förderprogramme für Grundstückseigentümer zu entwickeln. Renaturierungen könnten „Hilfe zur Selbsthilfe“ und damit Voraussetzung für das Entstehen von Lebensräumen sei. Nur durch permanente Veränderungen lasse sich flusstypische Standortvielfalt erhalten beziehungsweise wiederherstellen. Um das Entstehen von Kiesbänken, Uferdynamik und hoher Strukturvielfalt zu fördern, sollten beispielsweise alte Uferbäume als Totholz liegenbleiben dürfen, wo der Fluss das wolle. „Das kann kein Planer planen und kein Baggerfahrer so vielfältig bauen“, betonte Dr. Margraf. Dieses „Getreibsel“ ist auch für viele Arten ein wichtiger Lebensraum. Margraf wies aber auch auf die Grenzen des ungesteuerten Wildnis-Ansatzes hin: Wo fehlendes Geschiebe die Dynamik des Flusses grundlegend verändert hat, sind auch bei lokalen Renaturierungen steuernde Eingriffe (z.B. Geschiebezugabe) zu prüfen. Wo Staustufen Fluss und Aue grundlegend verändert haben, wäre ungesteuerte Wildnis erst nach sehr tiefgreifenden Renaturierungen und Rückbauten möglich.

Appell zum Dialog und zu mehr Mut


Abschließend stellte die Biologin die Ergebnisse einer Untersuchung an der ungestauten mittleren Isar vor. In drei Renaturierungs-Abschnitten hätten sich wieder vielfältige, auch alpenflusstypische Arten angesiedelt – von Wildbienen, Laufkäfern und Spinnen bis zu Lavendelweiden. Neophyten wie etwa die Goldrute habe ein starkes Hochwasser dagegen „einfach wieder abgeschält“. Diese nicht-heimischen Pflanzen könnten sich, wenn man Wildnis zulasse, nicht dominant entwickeln, betonte Dr. Margraf. Sie beendete ihren Vortrag mit dem dringenden Appell zum Dialog, zu Akzeptanz und Toleranz und dem Mut, dem Fluss zuzuschauen sowie den Worten „Wer keine Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“

Vortrag in Auszügen (PDF, 3,6 MB)



Dr. Luise Schratt-Ehrendorfer: „Warum müssen wir die Natur am Fluss steuern?

Dr. Luise Schratt-Ehrendorfer widmete sich in ihrem Fachvortrag dem Pflegenaturschutz und betonte, dass in hydrologisch veränderten Flusslandschaften oftmals steuernde Maßnahmen nötig seien, um auentypische Standorte und Biodiversität zu erhalten. Zwar seien die Voraussetzungen von einem Flusssystem zum anderen verschieden, sie plädiere jedoch – zumindest da, wo man noch Erfolg haben könne – für den steuernden Eingriff. Beweidung beispielsweise könne verhindern, dass Wiesen verbuschen, erklärte Dr. Schratt-Ehrendorfer und fasste zusammen: „Prozessschutz kann vor allem in Waldgebieten adäquate Naturschutzstrategie sein, in Auen mit anthropogen reduzierter Dynamik würde ich aber nicht zuschauen, wie Pionierstandorte verloren gehen, sondern dynamisieren.“

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Dr. Luise Schratt-Ehrendorfer ist seit 1980 am ehemaligen Institut für Botanik und dem heutigen Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien tätig. Ihre Dissertation verfasste die Biologin über das vom Gewässerchemismus bestimmte Auftreten von Wasserpflanzen in den Donauauen südöstlich von Wien (Lobau). Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit dem Projekt Kartierung der Farn- und Blütenpflanzen Österreichs, mit der Ökologie, Flora und Vegetation der Auen sowie mit der Erstellung von Roten Listen. Außerdem ist sie im Naturschutz aktiv.

Je dynamischer, desto artenreicher

In ihrem bebilderten Vortrag zeigte Dr. Schratt-Ehrendorfer zunächst Auensysteme an der Donau bei Wien, die ihre volle Dynamik seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verloren haben. Anhand von verschiedenen Grafiken erläuterte sie die Vegetationsserien an Flüssen und Auen und welche Bereiche hierbei innerhalb beziehungsweise außerhalb von Hochwassereinflüssen stehen. In der Hartholzau mit Ulmen-Eichen-Mischwald, die nur von Spitzenhochwässern erreicht werde, bestünden weitgehend stabile Bedingungen. Die Dynamik und damit auch die Biodiversität nehmen in Richtung Fluss zu. Wegen der eingeschränkten Auendynamik geraten als Folge von Flussregulierungen jedoch vor allem Pionierarten der flussnahen Weichholzauen unter Druck, erklärte Dr. Schratt-Ehrendorfer und fügte hinzu: „Prozessschutz würde in vielen Fällen das Aussterben von Rohbodenpionieren nach sich ziehen. Um das zu vermeiden, sind Maßnahmen zur Erhaltung von Pionierstandorten erforderlich.“

Steuernde Eingriffe für Erhalt der Biodiversität

Auch Dr. Schratt-Ehrendorfer plädierte – wie ihre Vorrednerin – dafür, den Flüssen mehr Raum zu geben. Wie wichtig es sei, verlorengegangene Dynamik in den Auen wiederherzustellen, zeige das Beispiel der niederösterreichischen Auen an der Donau. Diese seien zu 75 Prozent Natura 2000-Schutzgebiete, und trotzdem sei ihnen im Berichtszeitraum 2007 bis 2012 ein „ungünstiger bis schlechter Erhaltungszustand von Lebensraumtypen“ zugeschrieben worden. Erforderliche Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken, seien die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung von hydrologischer Dynamik und des Geländereliefs sowie die Kontrolle von Neophyten. „Natürlich muss man sich immer nach den Verhältnissen am jeweiligen Flusssystem richten“, räumte Dr. Schratt-Ehrendorfer ein. „Aber ich bin grundsätzlich dafür, nicht zuzuschauen, wie Pionierstandorte verloren gehen, sondern zu dynamisieren.“ diese steuernden Eingriffe seien notwendig, um die Biodiversität zu erhalten. Und an den Oberläufen von Lech, Ammer, Isar und Loisach versprächen die Aufweitungen der Flussläufe den Erhalt auentypischer Offenstandorte.“

Folien zum Vortrag (PDF, 3 MB)